In den letzten Jahren trat die Fragilität dessen, was wir Realität nennen, zunehmend in unser Bewusstsein: unser gesellschaftliches Miteinander, das soziale Absicherungssystem, unser Gesundheitswesen aber auch unser zwischenmenschlicher Umgang zeigten ihre Lücken, Begrenzungen, ihre Zerbrechlichkeit. Unser Gefühl, als unabhängige Individuen existieren zu können, entpuppte sich als Illusion - eine Illusion, die schon längst in den Queer Studies thematisiert und kritisiert wird. Denn gerade queere Menschen machen immer wieder die Erfahrung, unsichtbar und verwundbar gemacht zu werden und irgendwie durch die sozialen Netze zu fallen.
Für den Start in unsere Produktion “Ein Quäntchen von Allem” dringen wir mit den eingeladenen Referentinnen tiefer in die Spähren queerer Unsichtbarkeit vor. Im ersten Vortrag „Seht her?! Ambivalenzen queerer Wahrnehmungspoltiken“ spricht Corinna Schmechel über die komplexe Forderung nach mehr Sichtbarkeit und geht der Frage nach, ob das wirklich mehr Repräsentation und Anerkennung bedeutet. Und: Wer wird in der queeren Community eigentlich selbst wie wahrgenommen?
Ann Kristin Augst schließt mit ihrem Vortrag “Die Un/Sichtbarmachung von Transgeschlechtlichkeit in der Medizin” mit einem spezifischen Beispiel an. Welche Körper- und Geschlechternormen werden medizinisch in Ausbildung, Forschung und Praxis (re-)produziert? Wie navigieren sich transgeschlechtliche Personen durch das deutsche Gesundheitssystem? Und wer macht wen wann wie sichtbar im medizinischen Kontext?
Dr. Corinna Schmechel promovierte nach Studien der Erziehungswissenschaft und Soziologie und einem Master in Gender Studies zu Körper und Schönheitsnormen in der queeren Subkultur an der LMU München. Seit 2020 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HU Berlin in einem Projekt zur Berücksichtigung von Geschlecht in der quantitativen Gesundheitsforschung. Seit 2011 ist sie ehrenamtliche Boxtrainerin bei Seitenwechsel e.V., Europas größtem Sportverein für Frauen, trans* und inter* Personen.
Ann Kristin Augst ist Medizinsoziologin und Geschlechterforscherin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Gesundheitssoziologie an der Universität Augsburg tätig. Ihre thematischen Schwerpunkte sind die Soziologie von Krankheit und Gesundheit, Queer Theory/Studies, Körpersoziologie, Method(ologi)en der qualitativen Sozialforschung sowie (Feminist) Science and Technology Studies. In ihrem Promotionsprojekt erforscht Ann Kristin Augst die Entstehung und Aushandlung von medizinischem Wissen über »geschlechtsnonkonforme« Körper in der medizinischen Ausbildung und Praxis.