Wenn Pflanzen sprechen und Masken fallen

Die Staffelmitte ist erreicht: Die vierte Episode der Fortsetzungsgeschichte „Im Taumel des Zorns“ feiert am 17. Februar 2024 Premiere am ITZ.

Anaïs Clerc hat den Text zur Episode 4 mit dem Titel „Loyalitäten und Bedecktsamer“ verfasst. Sie ist aktuell Hausautorin am Theater Bern und wurde 2023 mit dem Osnabrücker Dramatiker*innenpreis ausgezeichnet. Regie führt Isabella Sedlak, die mit „Im Taumel des Zorns“ zum ersten Mal am ITZ inszeniert. Dramaturgin Corinna Huber sprach mit den beiden über fallende Masken, sprechende Pflanzen und das Aushandeln von Schuld und Verantwortung.

team EP4

In der neuen Episode von „Im Taumel des Zorns“ stehen nun die Geiseln Merit und Cecilia im Vordergrund. Was erwartet uns in Episode 4?

Isabella Sedlak: Episode 4 wird aus der Perspektive von Cecilia erzählt, der jungen Apothekenleiterin, Karrieristin und Pflanzenliebhaberin. Wir erfahren welche Strategien Cecilia und Merit entwickeln, um mit der Geiselhaft in der Apotheke umzugehen. Die Geiselnehmer:innen haben sich in dieser Episode erstmal zurückgezogen. Nur Enno, den die ganze Situation zunehmend nervöser macht, betritt hin und wieder den Raum, um die zwei zu überwachen und die Kontrolle zu behalten.

Anaïs Clerc: Vieles ist nicht, wie es scheint – das kommt in der Episode 4 immer eindrücklicher ans Licht. Die Figuren mit ihren Stärken, Schwächen und Abgründen bekommen Raum und vor allem Cecilia gibt mehr und mehr von sich preis. Sie tut das besonders in Erinnerungsfetzen, die außerhalb der Apotheke spielen, und uns einen Einblick in die emotionalen Baustellen der Figur geben.

IS: Man könnte auch sagen: Langsam aber sicher werden alle ein bisschen verrückt. Die Masken fallen, bewährte Verhaltensmuster funktionieren nicht mehr und alte Dämonen holen die Figuren ein.

Cecilia ist eine Pflanzennärrin, die buchstäblich mit ihren Pflanzen spricht. Auf der Bühne treten diese als Pflanzenchor auf. Was ist dieser Chor für ein besonders Element und wie finden die Pflanzen auf der Bühne zu ihrer Sprache? 

AC: Ich fand es spannend im Schreiben eine nicht menschliche Ebene zu gestalten, die zwar gewisse Aspekte der Welt wahrnimmt, sie aber nicht beeinflussen kann. Der Pflanzenchor kann sich nicht bewegen, übt aber einen enormen Druck auf Cecilia aus. Er stellt sich ihr immer wieder entgegen und ist gleichzeitig ihr emotionaler Bezugspunkt. Ich wollte herausfinden, was es mit der Figur macht, wenn sie einen Teil in ihrem Leben hat, welchen sie unaufhörlich beschützen will und für den sie sich verantwortlich fühlt.

IS: Die Pflanzenwelt ist Cecilias Schutzraum. Gleichzeitig waren die Pflanzen Zeug:innen von Cecilias Taten und werden zu einem externalisierten schlechten Gewissen, einer Art Über-Ich, das zu Cecilia spricht. Der Pflanzenchor ist ein wunderbar fantastisches und absurd-komisches Element der Inszenierung. Es ist ein Geschenk, Figuren für eine Birkenfeige oder eine Friedenslilie entwickeln zu dürfen und sie auf der Bühne erfahrbar zu machen. Dazu haben wir zum einen das Bühnenbild großzügig begrünt. Und unser Musiker Justus Wilcken lässt mit Hilfe eines speziellen Geräts, das die Widerstände in den Blättern misst, die Pflanzen singen und so einen Drachenbaum oder eine Monstera zum Klingen bringen.

Zunächst scheinen die Verhältnisse in der Apotheke eindeutig: hier die Verbrecher:innen, dort die Geiseln. Doch diese Eindeutigkeit löst sich nun auf. Welche Rolle spielt das Wechselspiel von „gut“ und „böse"? 

AC: Die Ausgangslage „gut / böse“ - wann ist eine Figur was? -  steckte für mich von Anfang an in der Geschichte und ist ein spannender Konflikt, der mich auch persönlich im Alltag immer wieder beschäftigt. Ich glaube nicht, dass Menschen oder Figuren einfach ausnahmslos böse sind. Da ist immer eine Ambivalenz vorhanden und diese zu erkunden, sich auch zu überlegen, was die Vorgeschichte einer Figur ist, das finde ich sehr reizvoll.

IS: Es war von Beginn an überhaupt nicht möglich die Figuren, die Anaïs beschreibt, in so vereinfachte Kategorien wie „gut“ und „böse“ zu pressen. Sobald man den Text wirklich ernst nimmt und den Figuren erlaubt, sich selbst ernst zu nehmen, erkennt man die Not, in der jede einzelne steckt. Alle sind Kämpfer:innen ihrer Sache, niemand ist Held:in. Alle denken, ihre Version der Realität ist die richtige und eine andere Realität bedroht die eigene. Niemand will schuldig sein. Da beschuldigen sie sich lieber gegenseitig. Das Tragische und Komische zugleich ist, dass sie sich eigentlich so unfassbar ähnlich sind. Aber das sehen sie selbst natürlich ganz anders. 
In der Inszenierung erlauben wir uns das zu überhöhen und auf die Spitze zu treiben. Wie schafft man es möglichst gekonnt die Schuld immer nur beim Gegenüber zu sehen und damit gleichzeitig jegliche eigene Verantwortung abzuschütteln?

Ohne zu Spoilern: Worauf dürfen wir uns in „Loyalitäten und Bedecktsamer“ besonders freuen?

AC: Auf eine Figur, die einen Fluss weint, aber zum Glück eine Glitzerjacke dazu trägt. Und auf ein sehr begabtes Ensemble mit viel Freude und Tiefgang.

 IS: Außerdem auf eine kritische Friedenslilie, eine arrogante Birkenfeige und einen passiv-aggressiven Kater mit Rockstar-Komplex - es gibt viel Fantastisches und Komisches zu erleben.

 

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Informationen

Text: Anaïs Clerc
Regie: Isabella Sedlak
Es spielen:Cyril Hilfiker, Lauretta van de Merwe, Seraina Löschau
Bühne:Valentin Baumeister
Kostüm:Nicola Gördes
Musik:Konstantin Dupelius, Justus Wilcken
Video-Intro: Katarina Eckold
Dramaturgie: Corinna Huber

Premiere Samstag, 17. Februar 2024