Schöne neue Arbeitswelt?

Mit der Uraufführung von „IM OFFICE“ von Elisabeth Pape startet das ITZ im Tübinger Zimmertheater am 12. Oktober in die neue Spielzeit.

Das Stück fragt, welchen Stellenwert Lohnarbeit in unserer Gesellschaft hat und wie es dabei eigentlich um die soziale Gerechtigkeit steht. Wie man diese Themen mit absurdem Humor und sympathisch-skurrilen Figuren verbinden kann, darüber sprach Dramaturgin Sarah Charlotte Becker mit Isabella Sedlak (Regie) und Raissa Kankelfitz (Ausstattung).

InterviewFotosIM OFFICE 

(Raissa Kankelfitz, Isabella Sedlak, Sarah Becker; Fotos: Ken Werner; Isabella Simon; Ken Werner)

 

Wem werden wir IM OFFICE begegnen, welche Figuren treffen dort aufeinander?

IS: Wir landen im Office von Pey, Chelsea und Rudi. Das ist kein verstaubtes Büro. Kein Beige. Sondern ein Office. In Pink. Cool, clean, digital. Wo sich Arbeit wie Freizeit anfühlt. Wir wissen nicht wirklich, woran die drei genau arbeiten, aber das ist auch gar nicht relevant. Sie erstellen „Customer Journeys“, entwickeln „disruptive Lösungen“ – und verbringen doch die meiste Zeit mit Self Improvement, Health Care oder Teambuilding-Maßnahmen. Pey ist die aufstrebende Teamleiterin, immer um eine positive Haltung bemüht. Chelsea beschäftigt sich weniger mit Arbeit, dafür mehr mit Instagram und Reiseplänen. Rudi schließlich ist liebenswert-nerdy und vor allem ein absolutes Hochleistungstier, wenn es darum geht, die Ideale des Unternehmens zu vertreten. 

Dieses etablierte System gerät durch die neue Mitarbeiterin Isi ins Wanken. Sie kommt aus finanziell benachteiligten Verhältnissen und wird eingestellt, weil das Unternehmen vorgeben will, sich für soziale Gleichstellungsmaßnahmen einzusetzen. Nach Green- und Pinkwashing ist Classwashing der nächste große Deal!

 

Das Stück spielt immer wieder mit Erwartungen und Vorannahmen, die wir über bestimmte Personengruppen haben. Was waren Annahmen, mit denen ihr in die Arbeit gestartet seid, die durch die Begegnung mit den Figuren ins Wanken geraten sind?

IS: Der Text ist teils eine einzige Komposition aus New-Work- und Self-Help-Ausdrücken – das ist an sich schon absurd, wenn die Figuren zum Beispiel glauben, ein Proteinriegel wäre die Lösung ihrer Probleme. Aber es verleitet eben auch dazu, sie schnell zu verurteilen. Man kann das Stück aber auch in einem größeren Kontext lesen, als Persiflage auf eine Gesellschaft im Spätkapitalismus, in der ein paar Punkte auf dem Diversitäts-, Feminismus- oder Ökokonto wirtschaftlich attraktiv erscheinen. Gesundheit und Wohlbefinden werden kommodifiziert und zu einer individuellen Verantwortung, die man sich leisten können muss – nach dem Motto „wenn es dir nicht gut geht, hast du halt nicht genug in deine Self Care investiert“. Doch auch wenn die Figuren auf den ersten Blick sehr überzeichnet wirken: Eigentlich, denke ich, kennen wir Rudi, Chelsea, Pey und Isi alle irgendwoher – manche Anteile von ihnen stecken in uns selbst drin. Und vor allem sind sie alle kein*e Gewinner*innen, sondern alle sind auf ihre Art denselben Strukturen ausgeliefert.

RK: Ich habe damit gerechnet, in diesem Stück auf ein Office-Team zu treffen, das mir Namen von Drinks um die Ohren haut und Praktiken zur Herstellung meiner inneren Balance näherbringt, von denen ich vorher noch nie gehört habe. Und auch wenn ich die Figuren im Laufe der Zeit immer lieber mag, das Office meiner Wahl wäre es nach wie vor nicht – ich brauche weder die Move & Relax Zone noch das Cascara-Getränk. Ein guter Pott Filterkaffe und eine Bürokatze würden mir reichen. Das Stück zeigt aber, welchen Bewertungen wir alle ständig unterliegen und wie viel wir selbst stets bewerten, sogar innerhalb von Gruppen, in denen alle an einem Strang zu ziehen scheinen. In dem Punkt schließe ich mich Isabella an – wir erleben im Stück immer wieder Momente von „Haha ja, diese Kolleg*in oder Freund*in kenne ich auch, die haben vielleicht Probleme!“ bis hin zu „Oh, das bin ja ich…“

 

Elisabeth Pape hat ihren Figuren einen ziemlich humorvollen Tonfall in den Mund gelegt. Wie geht ihr damit auf der Bühne um?

IS: Für mich liegt der Humor im Aufeinanderprallen unterschiedlicher Wahrnehmungswelten. Isi wird als „die Neue“ mit einer Gruppe mit vielen Gewohnheiten und Routinen konfrontiert. Es zeigt sich, wie unterschiedlich der Umgang mit Geld und das subjektive Sicherheitsempfinden der Figuren sind – wie unbeschwert sie zum Beispiel einkaufen gehen, in den Urlaub fahren… Das alles konnten wir auch spielerisch gut auf die Spitze treiben. Besonders zu Beginn sehen wir viel durch Isis Blick, wie schräg diese Community auf sie wirkt. Und wie absurd die freundlich gemeinten Annäherungsversuche und Zuschreibungen auf ihre Person sind. Für mich funktioniert Humor dann gut, wenn er sich nicht gegen einzelne richtet, sondern Archetypen oder unsere Gesellschaft als Ganzes meint. Ich glaube sehr an die Kraft, sich selbst darin wiederzuerkennen und über sich selbst zu lachen. Das entkrampft und macht im besten Fall sogar Platz für neue Blickwinkel.

New-Work-Konzepte beinhalten oft auch räumliche Überlegungen – man kennt das Klischee von tollen Pausenräumen mit Sofas und Kickertischen, die die Arbeitszeit versüßen sollen. Was für ein Raum erwartet uns in eurem OFFICE?

RK: Unser Office ist ein sehr aufgeräumter Ort. Er ist Runway, flexible workspace und Move & Relax Zone in einem – und ganz im Sinne eines Safe-Spaces ist alles in Zuckerwatte gepackt, damit es nicht so weh tut, wenn man sich mal den Zeh am Laufband stößt.

 

Zum Abschluss: Was ist euer ultimativer Tipp für eine ausgewogene Work-Life-Balance?

IS: Zu „Ich liebe das Leben“ von Vicky Leandros tanzen und lauthals mitgrölen – am besten mit Menschen, die über sich selbst lachen können (dürfen auch Kolleg*innen sein).

RK: Katzen streicheln (von denen gibt es in Tübingen zum Glück einige).

 

Premiere Samstag, 12. Oktober 2024

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