Schimpf & Schande
Ankündigungsinterview zur Uraufführung von "Schimpf & Schande"
Die neue Produktion von Hannah Zufall ist eine kraftsprachenvolle Liebeserklärung an die Schattenseite der menschlichen Ausdrucksfähigkeit. Wenige Tage vor der Premiere verraten Hannah Zufall und die Kostümbildnerin Josefin Kwon dem Dramaturgen Ilja Mirsky, was die Besucher:innen von der neuen Stückentwicklung am Zimmertheater erwarten dürfen.
Hannah, mit deinen Audiowalks „Freund Hein. Ein Audiowalk mit dem Tod“ und „Olfaktoria. Ein Audiowalk zum Durchatmen“ hast du in den vergangenen zwei Spielzeiten hunderte von Menschen mit Kopfhörern und Smartphone durch Tübingen geschickt. Schimpf & Schande ist nun deine erste Bühnenproduktion am ITZ - die Premiere findet am 23. April 2022 im LÖWEN statt. Wie bist du zu dem Thema dieser Produktion gekommen und wie laufen die Proben mit den drei Schauspieler:innen?
Die Auseinandersetzung mit unserer Schimpfkultur begann tatsächlich in Tübingen selbst und zwar während der Arbeit an Olfaktoria. Bei der Konzeption der Route durch die Tübinger Altstadt kam es zu einer denkwürdigen Begegnung mit einem Tübinger, der – sagen wir mal – durchaus Temperament hatte und seine Meinung eindrucksvoll aus einem Kellerloch zum Besten gab. Im Anschluss sprachen wir viel über Streitlust, den Gestus der Empörung und über den sprichwörtlich gewordenen Gang in den Keller zum Schimpfen. Unsere Sprache ist durchtränkt mit kraftvollen Ausdrücken, die von hoher Emotionalität und Kreativität auf dem Gebiet zeugen. Daran schloss sich die Frage an, welche öffentlichen Räume des Schimpfens und der Schande wir heute eigentlich noch haben und was gegenwärtige wie historische Flüche, Schimpfwörter und Beleidigungen eigentlich über uns als Gesellschaft aussagen. Im Probenprozess haben wir daher zunächst viel über Ausgrenzungs- und Abwertungsmechanismen sowie die Grenzen und Möglichkeiten des Ausrastens, der direkten Konfrontation und die Ventilfunktionen von vulgärer Sprache gesprochen. Darüber hinaus setzen wir uns nun sprachlich, körperlich, das heißt mit Stimme und Gestiken und den Machtverhältnissen von Zorn, Schuld und Streitschlichtung auseinander. Im Laufe der Zeit haben wir immer mehr das komische und groteske Potential von streitlustigen Konfrontationen und Wutausbrüchen entdeckt, das sich in einem spannungsreichen Verhältnis mit den prekären und gewalttätigen Dimensionen von Wut befindet.
Josefin, in den vergangen Jahren warst du schon in einigen Produktionen an diversen Theatern in Stuttgart als Kostümbildnerin involviert. Schön, dass du es jetzt auch nach Tübingen ans ITZ geschafft hast. Wie hast du reagiert, als du von Schimpf & Schande erfahren hast und was waren deine ersten ästhetischen Gedanken dazu?
Ich freue mich auch sehr, nun bei euch am Zimmertheater sein zu können. Als Hannah mir von dem Thema erzählte, habe ich mich relativ schnell gefragt, wie mein eigenes Schimpfverhalten wohl zu deuten ist? Eines der ersten Gespräche, die wir über das Thema hatten, endete in einem amüsierten Philosophieren über die Frage, wie es wohl möglich wäre Menschen für unkorrekte Ausdrücke zu bestrafen. Irgendwie hat das Thema bei mir Assoziationen wie das - im Recht sein- ausgelöst. Mir ist schnell klar geworden, dass mein Schimpfvokabular nicht gerade sehr kreativ ist und sich auf drei, vier Schimpfwörter reduzieren lässt. Hannah und ich sind beide sehr schnell zu dem Beschluss gekommen, dass die Ästhetik des Abends im Kontrast zum Thema stehen sollte. Wie wäre es denn, wenn wir uns für das Schimpfen so richtig schick machen würden und das Schimpfen auf einer glamourösen Bühne zelebrieren? Mit diesem Impuls sind wir dann in die Proben und ich den Kostümbild Entwurf gestartet.
Hannah und Josefin - ich hoffe, dass ihr die Flecken auf Seraina Löschaus Kostüm auf dem Plakatmotiv noch vor der Premiere rausbekommt. Das Foto deutet ja schon an, dass es dreckig werden wird - oder? Was erwartet die Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Bühne - werden es eher Zornesreden sein, noch mehr fleckige Kostüme oder eine Revolution der Schimpfkultur?
Ohne zu viel verraten zu wollen: Alles davon natürlich! Und verdammt viel mehr… Bei einer Stückentwicklung ist nicht so ganz hervorzusehen, wohin das alles laufen wird. So viel aber schon Vorweg: wir werden unter die Gürtellinie gehen und die kollektive Dreckswäsche schamlos im Rampenlicht der Bühne waschen – wütend, pädagogisch garantiert wertfrei, aber dafür mit viel Herzblut. Wir widmen uns den großen Meister:innen des Schimpfens und den Liebhaber:innen der derben Schimpfsprache mit voller Inbrunst. Selbstverständlich wird geschrien und geflucht. Und wo die Emotionen hochkochen, da sind Pein und Peinlichkeiten nicht fern. Im Zweifel erwartet das Publikum vielleicht sogar ein schwäbisches Alptraum-Musical oder war es doch eine Clowns-Show? Oder die deutsche Jahreskonferenz der Waschmaschinenentwickler? Schwer zu sagen. Wenn es um die menschliche Wut geht, geht es ja bekanntlich um alles und nichts – da kann man schon mal ins Schleudern geraten. Sicher ist, dass wir in die Scheiße reiten werden und zwar auf goldenen Schimmeln.
Schimpf & Schande und ein bisschen Glanz!
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