Im Meer sind alle Schatten bunt
Manchmal möchte man sich für das Menschsein schämen, wenn man sich die aktuelle Weltlage anschaut. So geht es auch der Hauptfigur in Peer Mia Ripbergers neuem Stück „mehr mensch als meermensch“, das am 13. April am ITZ Premiere feiert. Jel Woschni, ab September festes Ensemblemitglied am ITZ, kommt für das Stück schon jetzt als Gast nach Tübingen. Dramaturgin Corinna Huber sprach mit Ripberger (PMR) und Woschni (JW) über den Wunsch nach Weltflucht, die Herausforderung fünf verschiedene Figuren darzustellen und das Ankommen in Tübingen.
Wovon handelt „mehr mensch als meermensch“?
PMR: Unsere Hauptfigur schämt sich, angesichts des aktuellen Zustands der Welt, ein Mensch zu sein. Um vom Trübsal abzulenken, nimmt sie uns mit in ihr Lieblingsmärchen. Es erzählt von einem Meermenschen, der das Wasser verlässt, um an Land zu leben. Doch dort ist so einiges anders: Die Essgewohnheiten der Landmenschen, ihr Umgang miteinander - der Meermensch muss sich erstmal orientieren. Vor allem aber sind die Schatten an Land dunkelgrau, fast schwarz, wohingegen sie im Meer aufgrund von Lichtbrechungen an der Meeresoberfläche bunt verlaufen. Die Begegnung mit einem Landmenschen lenkt von der Irritation erstmal ab, zu aufregend sind die Gefühle, die zwischen Meermensch und Landmensch entstehen. Wäre da nicht der Schatten des Landmenschen, der sich mehr und mehr zwischen die beiden drängt.
Im Text finden sich einige Anleihen aus Kunstmärchen von Hans Christian Andersen, Philipp Otto Runge und Oscar Wilde. Was hat dich dazu bewogen mit diesem Textmaterial zu arbeiten?
PMR: Ich habe mich bei Kunstmärchen bedient, die im oder am Meer spielen. In der Vorbereitung habe ich gemerkt, wie sehr sich die Texte, zwischen denen oft Jahrzehnte liegen, aufeinander beziehen. Wilde etwa muss Andersen gelesen haben, bevor er seine Märchen schrieb. Während die Liebe zu einem Mann für Andersen in „Die kleine Meerjungfrau“ noch unausprechbar war, ist sie bei Wilde in „Der Fischer und seine Seele“ bereits lebbar, wenn auch mit einem großen Verlust und Risiko verbunden. In unserem Stück ist die Gefahr eine andere. Nicht die Liebe zwischen zwei unserer Figuren ist risikoreich, stattdessen funkt das Ego der beiden immer wieder dazwischen und legt sich wie ein Schatten über die Beziehung. Unzufriedenheit, Neid und Egoismus stellen die Liebe beider auf eine harte Probe.
Die Erzählfigur schiebt die eigene Scham beiseite, indem sie in ein Märchen flieht. Steckt da ein Wunsch nach Weltflucht drin?
PMR: Sicherlich und gleichzeitig der Drang, Welt verstehen zu wollen. Ich erlebe eine große Müdigkeit angesichts der Krisen, die uns umgeben. Wie wir mit unserem Planeten umgehen, mit unseren Ressourcen, aber auch miteinander - mir scheint die Fixierung auf das Ego in der abendländischen Denktradition mit ein Grund dafür zu sein, warum diese Krisen so schlecht handhabbar sind. Um das zu erzählen, schien mir das Kunstmärchen die passende Form. Anders als Volksmärchen hat es schon immer moralische Graubereiche ausgeleuchtet und versucht, ein Spiegel gesellschaftlicher Abgründe zu sein.
„mehr mensch als meermensch“ ist ein Soloabend mit fünf Figuren. Welche Herausforderung gab es im Probenprozess und wie gelingt es, so viele Figuren unterschiedlich darzustellen?
JW: Eine Herausforderung war es, die große Menge an Text ins Spiel zu übersetzen. Da ich in dieser Produktion alleine auf der Bühne stehe, bin ich darauf angewiesen aus mir selbst zu schöpfen, mir textliche Brücken zu bauen. Dafür muss ich mich immer wieder selber überlisten, um nicht aus dem Setting zu fallen, das ich ja selber erschaffe.
PMR: Wir haben körperlich viel an der Unterschiedlichkeit der Figuren gearbeitet. In Improvisationen haben wir erforscht, wie unser Meermensch steht, wenn er plötzlich an Land ist und Beine hat, oder wie sich ein Schatten bewegt, wenn er sich verselbständigt. Daraus sind Figuren entstanden, die so unterschiedlich sind, dass jederzeit erkennbar ist, welche der Figuren Jel gerade verkörpert.
Worauf dürfen wir uns musikalisch freuen?
JW: Ich werde jeden Abend live auf der Bühne Musik machen, mit einem Klavier und meiner Stimme. Dafür haben Peer und ich nach bereits existierender Musik anderer Künstler*innen gesucht, die die Stimmung der Geschichte einfängt, Zeitvergehen erzählt oder einen Kommentar auf das Geschehene erlaubt. Mit Thom Yorke von Radiohead, einem fünfundzwanzig Jahre alten Hit von Travis und Musik der Band Hundreds ist viel Musik dabei, die ich selber sehr liebe.
Jel, du bist mit „mehr mensch als meermensch“ zum ersten Mal am ITZ und ab September auch fest im Ensemble. Wie erlebst du die Arbeit dort und wie geht es dir beim Kennenlernen der Stadt?
JW: Es ist sehr angenehm am ITZ! Ich wurde herzlich und freudig empfangen und so erlebe ich auch die Arbeit. Die Kommunikationswege sind schnell und kurz, ich verstehe mich mit allen Menschen ausnahmslos und fühle mich sehr wohl. Das sind gute Voraussetzungen für die kommende gemeinsame Zeit am ITZ. Und in Tübingen entdecke ich auch langsam meine neuen Lieblingsorte. Ich gehe gerne am Wasser entlang und festige meine Spazierrouten, sitze auf der Neckarmauer, suche nach dem besten Eis und genieße den Flair der Stadt.
Text, Regie und Ausstattung: Peer Mia Ripberger
Schauspiel und Musik: Jel Woschni
Dramaturgie Corinna: Huber