Erzählt wird erst recht
Es geht langsam dem Ende zu: Am 04. Mai feiert die sechste und vorletzte Episode der Fortsetzungsgeschichte „Im Taumel des Zorns“ Premiere am ITZ. Autorin Corinna Huber präsentiert mit Episode 6 ihr erstes Theaterstück. Regie führte Jana Vetten, die erstmals am ITZ inszeniert. Dramaturgin Marleen Wengorz sprach mit den beiden über veränderte Zeitlichkeiten und verwundetes Erzählen.
Zum zweiten Mal steht die Figur Holle im Vordergrund. Sie wurde in der letzten Episode angeschossen. Was erwartet uns?
Corinna Huber (CH): Die Episoden endeten bisher immer ungewiss. Doch nach Episode 5 wissen wir: Jetzt ist es wirklich ernst. Ein Schuss ist gefallen und hat die krebskranke Holle getroffen. Alle Figuren verfallen in Schockstarre und können nicht glauben, was passiert ist. Nach der Starre ist schnelles Handeln gefragt. In diesen unterschiedlichen Dynamiken bewegt sich die Episode 6, mal mit hohem Tempo, mal ruhig und reflektierend.
Jana Vetten(JV): Mich interessiert beim Proben besonders ein neues Empfinden von Zeitlichkeit. Wir haben viel über Verlangsamung und ein Erleben von Stille innerhalb des herrschenden Chaos nachgedacht. Die äußere Situation ist zu diesem Zeitpunkt unkontrolliert und laut, aber durch Holles Verwundung tut sich ein neuer Raum, eine neue Zeitlichkeit auf.
Cecilia springt in dieser Episode über ihren Schatten und entscheidet sich, mit den anderen zu kooperieren. Gleichzeitig ist Enno nicht dabei. Was sind die Konsequenzen dieser neuen Figurenaufstellung für die Geschichte und die anderen Figuren?
JV: Alle werden sich auf eine ganz neue, existenzielle Weise ihrer Verletzlichkeit bewusst. Außerdem fehlt mit Ennos Fortbleiben besonders für Ove und Holle eine prägende, treibende Figur. Eine große Verunsicherung entsteht, in der sich alle Figuren mit einer neuen, radikalen Zärtlichkeit und tastend bewegen.
CH: Enno hinterlässt eine Leerstelle. Das bietet die Chance, zu beschreiben, was diese Lücke für die einzelnen Figuren bedeutet. Was macht es mit Holle? Wie geht es Ove, der sich zum ersten Mal ohne seinen Partner Enno durch die Geschichte bewegt? Das gab mir die Möglichkeit, Ove noch einmal anders und selbstständiger zu zeigen.
Wir lernen noch weitere Figuren genauer kennen: Sören und Helmut aus der Krankenhausleitung und auch Cecilias Ex-Freund Yuri kommt zu Wort. Welche Formen habt ihr dafür beim Schreiben und auf der Bühne gefunden?
CH: Jetzt, wo sich in der Apotheke alle verbünden, ist auch die Angst der Krankenhausleitung groß, es könnten unliebsame Dinge an die Öffentlichkeit kommen. Wir sind fast am Ende der Geschichte angelangt und deshalb wollte ich, dass auch Sören, Helmut und schließlich Yuri ihren großen Auftritt bekommen, nicht nur durch Stimmen, sondern körperlich. Ich habe mich gefragt, welches Medium nutzt die Krankenhausleitung dafür? Ich bin dann bei der Talkshow gelandet und habe mich insbesondere von Talkformaten der 2000er, etwa Britt! oder Vera am Mittag, inspirieren lassen. Ich fand es reizvoll, das Sprechen in solchen Talkrunden für einen Theatertext nachzubilden - Werbeunterbrechungen inklusive.
JV: Zu diesem Zeitpunkt, wo die Handlung schon sehr dramatisch ist und sich viel mit der Verletzlichkeit und Sterblichkeit auseinandersetzt, ist es mir besonders wichtig, einen Comic Relief zu schaffen. Da ist das Format einer Talkshow eine schöne Einladung für die Inszenierung, spielerisch und komisch mit den Figuren umzugehen.
Corinna, du hast die Serie vor über einem Jahr mitkonzipiert und jetzt die Episode 6 geschrieben. Wie bist du an die Sache rangegangen und welche kreativen Einflüsse haben deinen Text geprägt?
CH: Mich hat bei der Konzeption des Stückes beschäftigt, wie die stark verletzte Holle diese Episode souverän erzählen kann. Wie erzählt ein krebskranker, ein verwundeter Körper? Schon Holles Krebserkrankung ist ja ein einschneidendes Erlebnis für die Selbsterzählung einer Figur.
Plötzlich teilt sich die Erzählung des eigenen Lebens in das vor und das nach der Krankheit und der Verlauf dieser Erzählung ist in ständiger Abhängigkeit vom Verlauf der Krankheit. Jetzt kommt noch diese Verletzung dazu, eine äußere und sichtbare Wunde, verursacht durch einen Fremdkörper. Erst dachte ich, so eine Verletzung lässt eine Figur verstummen. Ich glaube aber, dass gerade die Verletzung ein Erzählanlass ist, eben weil sie eine neue Abweichung in Holles Leben darstellt. Holle wird zur verwundeten Erzählerin, da kann das Erzählen auch mal brüchiger und fragmentarischer sein, poetisch künstlicher auf der Suche nach einer Sprache für den Zustand, in dem sie sich befindet.
Jana, du steigst mit Episode 6, also der vorletzten Episode, in das Spielzeitprojekt „Im Taumel des Zorns“ ein. Was hat dich daran gereizt, Teil eines solchen Projekts zu sein? Und wie hast du es, bei allem, was bereits passiert ist, geschafft, deinen eigenen Zugang zur Geschichte zu finden?
JV: Ich war gespannt darauf, wie serielles Erzählen im Theater funktionieren kann. Wie experimentell kann man sich innerhalb einer gegebenen Form bewegen? Wie ist es für mich, ein Teil eines größeren Projektes zu sein?
Durch die komplett veränderte Situation nach dem Schuss hatte ich aber das Gefühl, auch im Erzählten und der Spielweise noch einmal neu ansetzen zu können und darin große Freiheit zu erfahren. Wir fragen auf den Proben oft “Was hat sich mit dem Schuss geändert?” Und dadurch entsteht immer Neues, wir vertiefen und verformen, statt zu wiederholen.
Worauf dürfen wir uns bei dieser Episode besonders freuen?
JV: Starke Bilder, poetische Texte und Figuren, die sich gar neu und neugierig begegnen.
CH: Man kann auf jeden Fall gespannt sein auf den Auftritt von Riesen und eines Muskelpakets. Außerdem gibt es eine Antwort auf die Frage, woher Holle die Waffe hat, mit der die Geiselnahme anfing.
Premiere Samstag, 4. Mai 2024
Text: Corinna Huber
Regie: Jana Vetten
Es spielen: Eva Lucia Grieser, Seraina Löschau, Morris Weckherlin, Lauretta van de Merwe
Bühne: Valentin Baumeister
Kostüm: Nicola Gördes
Musik: Konstantin Dupelius, Justus Wilcken
Video-Intro: Katarina Eckold
Dramaturgie: Marleen Wengorz