Wenn die Zeit an ihr Ende kommt
Am 6. Januar 2023 feiert das neue Stück „Die Kinder der Zeit" von Autor* und Regisseur* Peer Mia Ripberger Premiere in der Bursagasse. Dafür kommt es erneut zur Zusammenarbeit mit Ausstatterin Nicola Gördes und Komponist Konstantin Dupelius. Die Setzung des Stückes ist besonders: Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft treffen zur Beerdigung des Vaters als Geschwister aufeinander. Wie man das Geheimnis der Zeit auf die Bühne bringt, darüber spricht Dramaturgin Corinna Huber mit dem Produktionsteam.
Paul Glasson-Martin, Corinna Huber, Konstantin Dupelius, Nicola Gördes, Peer Mia Ripberger
Konstantin, Nico, Peer, habt ihr kurz Zeit?
Konstantin Dupelius: Jetzt gerade schon, letzte Woche war sie eher rar.
Nicola Gördes: Ich ehrlich gesagt nicht. Es ist schon ziemlich spät und das ist sicher nur eine von vielen Fragen.
Peer Mia Ripberger: Da frage ich mich: Kann man Zeit „haben“? Oder ist sie nicht immer etwas, das sich durch einen Mangel auszeichnet? Mir scheint das in den Erzählungen unserer Gesellschaft über sich selbst eine gängige Annahme zu sein. Oder der wünschenswerteste Zustand. Denn wer Zeit hat, hat offensichtlich keine dringende Aufgabe und damit einen vermeintlich eingeschränkten Wert. Also: Nein, ich habe keine Zeit. Antworten werde ich trotzdem.
Jede*r erlebt Zeit anders und doch gibt sie den Puls unserer Gesellschaft vor. Was macht unser Erleben von Zeit heute aus?
NG: Zeit misst die Dauer von Dingen, sie kann aber je nach persönlichem Empfinden mal lang, mal kurz sein. Auf jeden Fall ist die Zeit nicht aufzuhalten.
KD: Ich finde das eigentliche Wesen von Zeit ist das genaue Gegenteil: Die Zeit läuft nicht davon, sondern ist immer da. Es ist nie zu spät.
PMR: Ich beobachte verschiedene gesellschaftliche Erzählmuster, die unsere Zeit betreffen: Unsere Gegenwart scheint eine zu sein, die so nicht sein darf. Es wird oft erzählt, dass es nicht genug Zeit gibt. Auch nicht für notwendige gesellschaftliche Veränderungen. Dabei ist in vielen Bereichen, allen voran der Klimakrise, deutlich erkennbar, dass sich etwas ändern muss, je schneller desto besser. Wenn die Philosophin Marina Garcés über unser Heute schreibt: „Unsere Zeit ist die Zeit, in der alles endet“, dann resoniert das sehr in mir. Dazu kommen Erzählungen des „Früher war es besser“, mit denen ich mich in keiner Weise identifizieren kann. Doch der Blick in die Zukunft scheint ebenso verstellt: Auf der einen Seite soll sich möglichst nichts ändern, auf der anderen Seite kann es auf keinen Fall so weitergehen wie bisher.
Da beschreibst du drei große Zeiterzählungen. Wie finden sich diese im Stück wieder?
PMR: Ich habe diesen Erzählungen, die mich allesamt unzufrieden lassen, in meinem Theatertext je eine Figur zugeordnet. In der Hoffnung, dass die Konfrontation der drei Figuren irgendeinen Spielraum aufzeigt - oder zumindest die Grundproblematik spielerisch vor Augen führt.
Die drei Figuren kommen in „Die Kinder der Zeit“ als Geschwister zusammen. Warum diese Familienkonstellation und in was für einen Bühnenraum lasst ihr die Zeit-Familie einziehen?
PMR: Die drei Figuren mussten irgendwie aufeinandertreffen, um in eine Aushandlung zu kommen. Es hätten auch Freunde sein können. Aber ich fand die Unausweichlichkeit, die in einem Familienverbund steckt, interessanter. Und um keine der Figuren einer der anderen überzuordnen, sind sie einfach Geschwister geworden. Ihre Eltern, Zeit und Ewigkeit, sind gestorben, die Ewigkeit schon sehr lang, die Zeit gerade erst. Nun müssen die Geschwister eine Beerdigung organisieren und begegnen sich dafür nach langer Zeit wieder.
NG: Und wie Geschwister eben so sind, streiten sie trotz des traurigen Anlasses über eigene Befindlichkeiten. Gleichzeitig findet man zwischen all der Feindseligkeit von Zeit zu Zeit liebevolle Gesten, die einen gemeinsamen Schmerz erahnen lassen. In dem Haus, in dem sie zusammenkommen, ist mit dem Tod des Vaters die Zeit abgelaufen. Mich hat das an Symbole der Vergänglichkeit erinnert, wie etwa die Sanduhr. In Gemälden des 16. Jahrhunderts steht sie oft als Mahnung an den Menschen, seine wie Sand verrinnende Zeit sinnvoll zu nutzen. Also haben wir als Team zwei Tonnen Sand auf die Bühne im Gewölbe geschaufelt: Die Bühne wird der gefüllte untere Teil einer Sanduhr.
Welche Rolle spielt Musik im Stück und wie war der kompositorische Zugang dazu?
KD: Ich habe tatsächlich sehr viel Zeit gebraucht, um auf Ideen zu kommen. Inspiriert hat mich der Sand. Die Musik im Stück besteht nun aus einem dauerhaften Rieseln, es rieselt aus allen Ecken, und permanent ist ein dezentes Ticken zu hören. Ich habe die Musik sehr langsam angelegt. Selten übersteigt sie das Tempo von 60 BPM. Das entspricht der Hälfte des menschlichen Herzschlages und ist in etwa das langsamste Tempo, das ein Mensch noch selbst spüren kann. Zum Schluss geht alles in ein episches, langes Lied über die Kunst des Wartens über. Aufgrund der Langsamkeit aller Stücke benötigt die Musik viel Zeit, sich zu entfalten. Sie zwingt einen dazu, sich Zeit zu nehmen, um sich auf sie einlassen zu können.
Wenn ihr Zeit anders verteilen könntet, wofür hättet ihr gerne mehr?
PMR: Zum Schreiben. Es ist ein großartiges Privileg, dass ich seit Ende meines Studiums mein Geld immer mit selbst geschriebenen Stücken verdienen konnte, und dass ich auch jetzt als Intendant* zwei eigene Stücke im Jahr auf die Bühne bringen kann. Und trotzdem reicht die Zeit, die ich zum Schreiben habe, irgendwie nie. Es ist ein Mysterium.
KD: Für Familie und Zeitgestaltung ohne an Arbeit, Geld und Stress zu denken. Sobald man sich eine Auszeit nimmt, kostet es direkt Geld - so sehr ist unsere Zeit-Geld-Verbindung schon gesellschaftlich verwurzelt.
NG: Apropos Geld: Ich bräuchte akut gerade mehr Zeit, um meine Steuererklärung abzugeben.